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Die Sauer-Orgel in der Lutherkirche Bad Harzburg

Anfang der neunziger Jahre machte man sich in der Luthergemeinde Gedanken darüber, wie man die technisch und klanglich immer schlechter werdende Orgel wieder in einen tadellosen Zustand bringen könnte. Nachdem zunächst eine Generalüberholung in Erwägung gezogen wurde, entschied man sich später für eine Rekonstruktion der historischen Orgel. Hierfür gab es zwei Gründe:

1. Sämtliche Umarbeitungen dieses Jahrhunderts im Zuge der so genannten „Orgelbewegung“ waren finanziell begrenzt. Sie stützten sich daher größtenteils auf das originale Pfeifenmaterial der berühmten Orgelbaufirma Sauer. Somit existierten viele Originalpfeifen noch, allerdings wurden sie z.T. stark bearbeitet. Einige andere Register wurden ergänzt. In einer im 20. Jahrhundert gängigen Praxis wurde außerdem der Spieltisch elektrifiziert und von der Orgel abgetrennt. Die Addition von elektropneumatischer Traktur plus des 2/3 romantischen Pfeifenwerks plus barocken Klangideals führte zwangsläufig zu einem unbefriedigenden Ergebnis - quasi zu einem Körper mit viel Narben und wenig Charakter. Dieses Phänomen wurde an den relativ schnell einsetzenden Ermüdungserscheinungen nach den großen Umbauten sowohl im Klang als auch in der Technik deutlich. Lediglich die gute Akustik der Lutherkirche konnte diese Defizite etwas kompensieren.

2. Mit dem Orgelbaumeister Christian Scheffler konnte 1997 ein leidenschaftlicher Restaurator und Fachmann von Sauerorgeln gewonnen werden. Er machte der Kirchengemeinde den historischen und klanglichen Wert dieser Orgel deutlich, der bis dato noch im Verborgenen lag. Auf Wunsch und Empfehlung von Propsteikantor Karsten Krüger wurde der Einbau eines zusätzlichen dritten Manuals beschlossen. Dieses hatte den Vorteil, dass man jetzt auch den Zugang zur kompletten Musikliteratur aus der Geburtsepoche der Orgel hatte. Aus der einfachen Restaurierung wurde somit eine umfangreiche Rekonstruktion einer dreimanualigen Orgel nach Sauerschem Vorbild inklusive der Restaurierung der Originalbestandteile.

Die Orgelbaufirma Scheffler aus Frankfurt/Oder hat den ersten Bauabschnitt der Orgelrestaurierung im Dezember 1998 fertig gestellt. Die pneumatischen Kegelladen, der Spieltisch und die neuen Prospektpfeifen wurden installiert. Das erste Manual und das Pedal waren wieder spielbar. Im II. Bauabschnitt wurde die zweite Hälfte des Pfeifenwerks (noch 21 von 40 Register), verteilt auf die Manuale II und III, ergänzt. Der Einweihungstermin ist nun der erste Advent 2001. Die Kosten dieses Projekts betragen insgesamt 800.000,- DM. Die Luthergemeinde hat hiervon allein rund Zweidrittel durch Spenden, Benefizkonzerte und zahlreiche Veranstaltungen innerhalb von 6 Jahren selbst aufgebracht!

Die Orgel hat den vielseitigen, warmen und grundtönigen Klang, ja zusammengefasst ihren symphonischen Ursprungscharakter wiederbekommen. Sie ist in dieser Größenordnung etwas ganz Besonderes, weil zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten eine teilweise historische romantische Orgel mit neuen Teilen (Windladen, Spieltisch und Pfeifen) rekonstruiert wurde.

Der heutige Organist wird sozusagen 100 Jahre zurückversetzt und findet dort eine neu gebaute Sauerorgel mit pneumatischer Kegellade vor. Gleichzeitig hört er den Klang von Pfeifen, die zum Teil schon 100 Jahre alt und von großer Qualität sind! Die Orgelbaufirma Scheffler hat mit spezieller Fachkunde und viel Arbeitseinsatz ihren guten Ruf im Bereich romantischer Orgelbaukunst an diesem Werk eindrucksvoll bestätigt. Ein besonders ästhetischer Genuss ist der Nachbau des dreimanualigen Spieltischs, der, ebenso wie der erneuerte Prospekt, dem Betrachter strahlend ins Auge fällt.

Allen Kritikern, die die Philosophie der Orgelbewegung weiter tragen, indem sie Pneumatik pauschal verurteilen und lediglich auf das zweifellos wunderschöne Klangideal historischer Barockorgeln oder auf die Vielseitigkeit von modernen Universalorgeln verweisen, sei an dieser Stelle gesagt, dass die Sauersche Kegellade nicht mit irgendeiner Pneumatik zu vergleichen ist, wie sie beispielsweise in vielen Dorfkirchen sehr abschreckend vorzufinden war und ist. Diese spätromantische Orgel füllt die historische Lücke zwischen Barock und Moderne aus, in der gerade die Orgelmusik nach langem Schlaf so großartig wieder belebt wurde, und sie hält dabei mit den eben genannten Superlativen des Orgelbaus auf ihre ganz spezielle Art und Weise problemlos mit: sie funktioniert absolut gleichmäßig und exakt, und sie ermöglicht mit guter Registrierung ein Spielen, welches sich bis zu einem gewissen Grad sogar barocker Artikulation annähern kann. Ihre leichte Verzögerung gleicht einem Symphonieorchester, welches etwas hinter dem Schlag des Dirigenten spielt und dennoch ein - in Verbindung mit der Akustik - unvergleichlich stufenloses und leidenschaftliches Crescendo erzeugen kann. Ihre fein abgestuften Klangfarben wirken sowohl solistisch als auch im Orchester brillant und überzeugend. Mit diesen Fähigkeiten kann sich diese romantische Orgel deshalb auch auf viel weitergehenderes stilistisches Terrain wagen, als es umgekehrt z.B. eine Barockorgel vermag. Immerhin haben große Komponisten wie Max Reger, Siegfried Karg-Elert oder Julius Reubke um die Jahrhundertwende für solche Orgeln ihre Werke komponiert.

Jeder ist hiermit herzlich eingeladen - ob Kritiker, Interessent oder Euphorist - sich von diesen Besonderheiten zu überzeugen.